In den Stadien schlägt das Herz des deutschen Fußballs. Ob Bundesliga oder Kreisklasse – es geht dabei um mehr als nur um Tore und Punkte.
Gordon Gerriets ist nervös
Es ist der letzte Spieltag der Saison, für seine Mannschaft ein entscheidender: Heute kann Hertha BSC, der größte und über viele Jahre erfolgreichste Klub Berlins, nach einer verkorksten Saison den Abstieg aus der Bundesliga doch noch abwenden. Gemeinsam mit vielen tausend anderen Fans ist der Student aus der Hauptstadt einmal quer durchs Land gereist, etwa 500 Kilometer, um seine Mannschaft im Stadion anzufeuern und im Idealfall zu feiern. Obwohl er erst 26 Jahre alt ist, ist seine Beziehung zu der „alten Dame“, wie man Hertha BSC auch nennt, schon eine alte Liebe. Mit vier Jahren hat er an der Hand seines Vaters zum ersten Mal ein Heimspiel im Olympiastadion besucht. Und auch heute sind die beiden zusammen unterwegs. Vater und Sohn reizt neben dem Spiel die Gemeinschaft. Sie genießen die Atmosphäre im Stadion unter tausenden anderen Fans.
Die Gelbe Wand
Vater und Sohn sind im Signal Iduna Park, der als „Westfalenstadion“ bekannten Spielstätte von Borussia Dortmund. Der Spitzenklub aus dem Ruhrgebiet spielt im größten und spektakulärsten Stadion Deutschlands. Zu jedem Heimspiel kommen mehr als 80.000 Besucherinnen und Besucher. Allein auf der Südtribüne, von Fußballfans in aller Welt ehrfürchtig die „Gelbe Wand“ genannt, stehen fast 25.000 Fans Schulter an Schulter. Das sind mehr, als bei Konkurrenzvereinen aus derselben Liga wie Greuther Fürth und Union Berlin ins ganze Stadion passen.
Am letzten Spieltag geht es für Borussia Dortmund um nichts mehr. Wie in den letzten Jahren sind die Schwarz-Gelben sicher für die Champions League qualifiziert. Meister ist – wie immer – der FC Bayern. Das steht schon seit Wochen fest. Dennoch gibt die „Gelbe Wand“ alles: Der Anpfiff rückt näher, die Stimmung ist prächtig.
Gordon Gerriets geht zum vielleicht tausendsten Mal angespannt die Konstellation durch: Wenn seine Hertha zumindest unentschieden spielt, dann ist alles gut. Verliert sie, dann müsste der Konkurrent VfB Stuttgart zu Hause ebenfalls verlieren. Aber wer ist schon gerne auf andere angewiesen?
Zuschauersport Nummer 1
Es ist keine Übertreibung, wenn man die Deutschen „fußballverrückt“ nennt. Sie sind nicht nur auf dem Platz verdammt gut – vier Weltmeistertitel der Herren- und zwei der Frauen-Nationalmannschaft können kein Zufall sein –, sondern auch auf den Rängen. Auch in der Zweiten Liga strömen an jedem Wochenende Zehntausende in die Stadien. Der auch im Ausland sehr beliebte Hamburger Stadtteilclub FC St. Pauli ist im Millerntorstadion zu Hause: 30.000 Menschen passen dort hinein, das Stadion ist immer voll. Selbst in der Dritten Liga mit ihren traditionsreichen Vereinen kommt es immer wieder zu emotionalen Begegnungen mit fünfstelligen Besucherzahlen. Und örtliche Rivalitäten werden auch in den regionalen Ligen gepflegt und vor engagiertem Publikum ausgetragen.
„Ich würde jedem raten, sich einmal ein Spiel im Stadion anzuschauen.“
Die 50+1-Regel
Durch die 50+1-Regel haben die Fußballvereine und damit deren Mitglieder und Fans die Stimmenmehrheit. Und sie wollen, dass niemand durch extreme Eintrittspreise aus dem Stadion verdrängt wird.
Dabei bleibt es allerdings auf den Rängen und rund um die Stadien in aller Regel friedlich. So auch auf dem Weg zum Westfalenstadion: Obwohl Gordon für alle erkennbar im blau-weißen Trikot und mit Hertha-Schal unterwegs war, begegnen ihm die gegnerischen Fans freundlich. Hier und da mal ein Schmähgesang oder ein Spruch, klar, aber das gehört dazu. Gordon hatte schon auf der Fahrt erklärt: „Ich denke, dass 99 Prozent der Leute, die ins Stadion gehen, nicht die geringste Lust auf Ärger haben“, sagt der Student und fügt hinzu: „Ich würde jedem raten, sich einmal ein Spiel im Stadion anzuschauen.“ Das ist übrigens in Deutschland ein durchaus bezahlbares Vergnügen: Selbst in der Bundesliga sind die günstigsten Tickets für etwa 15 Euro zu haben. Ein Grund dafür ist eine weltweit einzigartige Regel: die sogenannte 50+1-Regel.
Bundesliga-Tickets ab 15 Euro
Zu Besuch im Wohnzimmer
Die Fußballbegeisterung der Menschen in Deutschland ist nicht nur in den größeren oder kleineren Stadien zu spüren. Denn natürlich können nicht alle Fans ihre Helden zu den Spielen begleiten. Viele verfolgen das Geschehen im Fernsehen, ohne allein auf dem Sofa zu sitzen. Fußballfans sind, wie viele andere Deutsche auch, sehr gesellige Menschen. In jeder Stadt gibt es so genannte „Fußballkneipen“. Das sind mit Schals, Flaggen und anderen Vereinsdevotionalien geschmückte Gaststätten, in denen sich die Fans an Spieltagen treffen. Gemeinsam schauen sie das Spiel, viele im Trikot und mit Fanschal wie im Stadion. Wie auf den Rängen wird mitgefiebert, gejubelt und gesungen. Häufig kennen die meisten Anwesenden einander, haben ihre Stammplätze und werfen sich Scherze und Sprüche zu. Aber auch neue Besucherinnen und Besucher werden freundlich empfangen und aufgenommen – wenn sie nicht gerade lautstark die gegnerische Mannschaft anfeuern.
Der Deutsche Fußballbund (DFB)
Der Deutsche Fußballbund (DFB) ist mit seinen 24.000 Vereinen der größte Sportverband der Welt.
Ähnlich familiär wie in den Stadien der Proficlubs geht es auch auf den Plätzen der scheinbar unzähligen Amateurclubs zu. Auch hier kann man die Menschen in Deutschland kennenlernen, wie sie entspannt dem Nationalhobby Nummer eins nachgehen. Noch mehr als in den Profiligen ist bei den Amateuren der Sport wichtig. Und für viele sind diese Spiele der Anlass, zum Fußballplatz zu gehen und andere Sportfreundinnen und Sportfreunde auf einen Schwatz und eine Bratwurst zu treffen. Auf den allermeisten Sportplätzen sind aufgeschlossene und interessierte Gäste gern gesehen.
Keine Bratwurst, kein Fußball
Heiß, fettig, lecker: kein Fußballspiel ohne Bratwurst vom Grill.
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Im Westfalenstadion läuft es zunächst unerwartet gut für Gordon Gerriets und seine Hertha: Zur Halbzeit liegt sie nach einem Elfmeter mit 1:0 vorne. Vorsichtiger Optimismus macht sich breit. Doch Gordons Vater sagt voraus: „Jetzt kommt die vielleicht längste Halbzeit unseres Lebens.“
Und er soll Recht behalten: Angefeuert von der „Gelben Wand“ gleicht die Borussia aus und kommt kurz vor Schluss zum Siegtreffer. Jetzt hängt alles von der Partie in Stuttgart ab. Und dort kassiert der 1. FC Köln in der Nachspielzeit den entscheidenden Gegentreffer. Stuttgart ist gerettet. Hertha, die „alte Dame“, muss zwei Entscheidungsspiele gegen den Dritten der Zweiten Bundesliga bestreiten.
Gordon ist erschöpft, müde, traurig. Doch zwei Stunden nach dem Abpfiff geht sein Blick schon wieder voraus: „Dann retten wir uns halt in der Relegation.“ Für die Hertha gilt an diesem Abend der so tröstliche wie wahre Spruch des legendären Trainers der Frankfurter Eintracht, Dragoslav „Stepi“ Stepanović: „Lebbe geht weiter.“
Machst du viel Sport oder schaust du lieber zu?
Anna gehört zur zweiten Kategorie, zumindest in dem folgenden Video. Sie zeigt dir die vielen Angebote des Unisports und nimmt dich wie Gordon mit auf ein Fußballspiel in Leipzig.